Wir folgen unserem Führer zu einer kreisrunden Lichtung. In ihrer Mitte steht eine wunderschöne Buche.
„Die Buche möchte mit dir reden“, sagt der Ent, der uns geführt hat. Um den Baum wachsen kreisförmig Steine aus dem Boden. Wir setzen uns darauf.
„Seid willkommen“, sagt der Baum. Aus seiner Rinde schaut uns jemand an. Er hat große freundliche Augen, spitze Ohren, ein spitzes Kinn und ich sehe Nase und Mund.
„Ich bin das Baumwesen, der Geist dieses Baumes. Der Baum lebt durch mich und ich lebe durch diesen Baum.“
„Bist du der Herr der Buchen?“
„Ich bin der Herr der Buchen auf der Erde und in der Anderswelt, die Oberbuche, wie du sagen würdest“, lacht er.
„Ich möchte dir von den Baumwesen erzählen. Die Bäume sind die obersten Bewohner der Pflanzenwelt. Wer das Dasein eines Baumes erreicht, ist in der Hierarchie ganz oben.“
„Wie bist du zur Oberbuche geworden?“
„Das war von Anfang an meine Bestimmung. Die Oberbuche vor mir ist zum Göttlichen gegangen. Jetzt bin ich die Oberbuche. Es wächst aber schon eine neue heran, damit wir nicht ohne Oberbuche sind, wenn ich gehe.“
„Was passiert, bevor du gehst?“
„Wenn ich abgesägt werde, werde ich heimatlos. Wenn mich der Sturm fällt oder ein sonstiges Naturereignis, gehe ich zum Göttlichen.“
„Wenn jetzt ein Sturm käme und dich entwurzeln würde, würdest du gehen?“
„Dann würde ich gehen und die neue Oberbuche würde meine Aufgabe übernehmen.“
„Bäume haben Seelen, ist das richtig?“
„Ja, Bäume haben Seelen.“
Aufgaben der Oberbuche
„Was ist deine Aufgabe als Oberbuche?“
„Ich achte auf die Buchen – auf der Erde, in der Anderswelt und auf allen Planeten, wo Buchen wachsen.“
„Gibt es auf anderen Planeten auch Buchen?“
„Die Buche ist ein universeller Baum und Kometen tragen Bucheckern zu anderen Planeten. Manche Planeten oder sonstigen Himmelskörper tragen den Samen der Buche. Wenn er Lebensbedingungen vorfindet, um zu wachsen, keimt er. Die Buche ist immer eine der ersten Pflanzen auf einem Planeten. Sie ist etwas Besonderes.“
„Wie passt du auf die Bäume auf?“
„Ich versuche, sie zu beschützen, aber es ist schwierig. Ich sage Mutter Erde, was für die Buchen gut ist. Mutter Erde hört meinen Rat und befolgt ihn oder auch nicht. Das ist ihre Entscheidung, aber sie hört gern meinen Rat, weil sie sich nicht um jede Kleinigkeit selbst kümmern kann. Sie hat Ratgeber und als Oberbuche gehöre ich dazu, ebenso wie die anderen Bäume dazugehören, die Obereichen, die Oberpappeln, die Oberbirken …. Und auch die Bäume der anderen Kontinente.“
Über das Fällen von Bäumen
„Ihr Menschen macht einen Riesenfehler, wenn ihr zu viele Bäume tötet, denn ihr zerstört dadurch eure Sauerstoffatmosphäre. Aber das begreifen diejenigen nicht, die für Profit die Bäume abholzen oder roden. Palmen sind schön und gut, aber sie haben nicht so viel Blattvolumen wie zum Beispiel eine Buche oder Tanne. Der Sauerstoff wird knapp, wenn ihr so weitermacht. Aber das ist euer Problem.“
„Wir Buchen haben uns früher um die Menschen gekümmert, aber wir kümmern uns kaum noch. Wir leben unser Leben. Wir wissen, dass ihr uns tötet und sind traurig darüber. Wenn uns jemand fragt, ob er uns schlagen darf, weil er Feuerholz braucht oder für sich selbst ein Haus bauen möchte, dann antworten wir mit ‚ja‘ und das Baumwesen weiß, dass es diesen Baum verlassen muss, weil er geschlagen wird. Das ist nicht so schmerzhaft für das Baumwesen, als wenn es sich aus einem geschlagenen Baum lösen muss. Wenn es vorher Bescheid weiß, kann es den Baum in Frieden verlassen.“
„Was machen die baumlosen Baumwesen?“
„Sie suchen sich einen Baum, in dem sie als Gast willkommen sind. Sie sind nicht Herr des Baumes und warten, dass er eines natürlichen Todes stirbt. Dann können alle Baumwesen, die darin zu Gast sind, in das Besondere Land und als Geist eines eigenen Baumes wiedergeboren werden.“
„Wenn die Baumwesen in einem Baum sind, der ihnen nicht gehört, gehen sie nicht zum Göttlichen?
„Sie gehen nur zum Göttlichen, wenn ihr eigener Baum fällt.“
Kontakt zu Menschen
„Sagst du auch Bäumen, dass sie mit Menschen reden sollen?“
„Wenn ein Mensch sich einen Baum aussucht, sage ich dem Baum, ob er mit dem Menschen sprechen soll oder nicht. Manche Menschen denken, sie können mit jedem Baum reden, aber das geht nicht. Bäume sind Individualisten und halten nicht viel von Menschen. Du redest mit einigen, nicht nur mit einem, und das wird gutgeheißen, auch vom Hüter des Waldes und vom Hüter der Buchen des Waldes. Jede Baumart in einem Wald hat einen Hüter, weil die Oberbäume nicht überall sein können. Die Hüter der Buchen arbeiten in meinem Namen. Wenn sie sehen, dass Menschen achtsam mit Bäumen umgehen, erlauben sie den Bäumen, mit diesen Menschen zu reden.“
„Der Hüter des Waldes passt auf den Wald auf?“
„Ja, aber gegen die Maschinen der Menschen hat er keine Chance und ihm sind auch dann die Hände gebunden, wenn die Vorsehung einen Baum fällen will. Aber das Leben zwischen Geburt und Tod ist in der Obhut des Hüters. Er achtet auf den Wald. Er ruft die Waldwichtel, wenn ein Baum sich nicht entwickeln kann, er ruft die Bienen, damit die Bäume Früchte tragen.“
„Seid ihr auch manchmal unfreundlich zu Menschen, indem ihr sie über eure Wurzeln stolpern lasst oder Baumgeister Menschen angreifen?“
„Das kann vorkommen. Menschen, die uns schaden, stolpern häufig über Wurzeln oder sie werden auch mal von einem Baumgeist angegriffen.“
Das Aussehen der Baumgeister
„Kann der Baumgeist seinen Baum verlassen?“
„Es ist wie bei den Steingeistern. Wir haben einen bestimmten Radius, in dem wir uns frei bewegen können, aber wir können den Kreis nicht verlassen. Der Radius ist nicht sehr groß.“
„Aber ihr könnt aus dem Baum heraustreten?“
„Wir können den Baum verlassen. Das machen wir auch manchmal.“
„Warum?“
„Um uns die Beine zu vertreten.“ Die Oberbuche schmunzelt. „Natürlich nicht! Wir machen es aus bestimmten Gründen. Ein Gebet zu den Göttern beispielsweise findet eher Gehör, wenn es außerhalb des Baumes gesprochen wird, wenn keine Wände das Gebet aufhalten könnten. Es geht zwar durch Holz, aber es muss sich mühen. Manchmal verlassen wir unseren Baum, wenn wir tratschen wollen. Es ist lustiger, miteinander zu reden, wenn man sich sieht.“
„Wie seht ihr aus, wenn ihr den Baum verlassen habt?“
„Wir haben eine knorrige Gestalt. Sie erinnert an einen Baumstumpf mit sich bewegenden Ästen. Du hast einmal ein Baumwesen fotografiert, das wie sich bewegende Äste aussah.“
„So ähnlich sehen wir aus, wenn wir aus dem Baum heraustreten. Wir haben keine menschenähnliche Gestalt. Nur die Gesichter, die dich aus den Bäumen anschauen, sind menschenähnlich, damit du uns erkennst.“
„Ihr könnt euch verwandeln?“
„Wir können uns wie die Elfen verwandeln. Wir können die Energie steuern, wir können die Rinde steuern. Du siehst häufig Gesichter in den Bäumen. Oft sind es Verstorbene, die bei uns Zuflucht gefunden haben.“
„Was passiert mit den Verstorbenen, wenn ihr eines natürlichen Todes sterbt?“
„Dann haben sie die Chance, ins Licht zu gehen.“
„Sie können euch nicht verlassen, solange ihr lebt?“
„Wenn sich die Seele entschieden hat, in einen Baum einzuziehen, bleibt sie dort, bis der Baum gefallen ist.“
„Und wenn ein Mensch diesen Baum fällt?“
„Dann bleibt die Seele in dem Baum, sie kann ihn nicht verlassen und muss warten, bis der Baum verrottet ist. Erst dann kann sie ihn verlassen und ins Licht gehen oder in einen anderen Baum, das ist ihr überlassen. Aber wenn der Baum natürlich fällt, kommen die Begleiter und holen die Seele ab – sofern sie ins Licht möchte.“
„Das ist interessant. Ihr seid sehr nützlich für die Menschen und trotzdem werdet ihr oft misshandelt. Euch werden die Äste abgeschnitten, ihr werdet zugepflastert …“
Über heilige Bäume
„Der Mensch kann den Baum nicht mehr würdigen. Früher gab es heilige Bäume und auch jetzt sollte es wieder heilige Bäume geben. Das Beten zu heiligen Bäumen und die Rituale für sie stärken die Art. Eine heilige Linde, in deren Schatten gebetet wird, stärkt die ganze Art. Eine heilige Buche, in deren Schatten gebetet wird, stärkt die ganze Art.“
„Reicht es, den Baum heilig zu sprechen oder braucht es dazu etwas anderes?“
„Es reicht, den Baum heilig zu sprechen. Wie ihr die Steine aktiviert*, könnt ihr den Baum aktivieren und als heilig von den Göttern markieren lassen.“
„Macht man das einmal oder öfter?“
„Beim Baum reicht es einmal. Die Götter markieren ihn als heilig und alles Gute, was ihr diesem Baum tut, tut ihr allen Bäumen dieser Art. Wenn du einem heiligen Baum Energie gibst, dann gibst du sie allen Bäumen dieser Art, wenn du einem heiligen Baum Gaben schenkst, erhalten sie alle Bäume dieser Art. Und wenn du mit einem heiligen Baum sprichst, dann hat er die Unterstützung aller Wesen seiner Art.“
„Also wäre es wichtig, wieder heilige Bäume zu haben?“
„Es wäre schön, wenn ihr Bäume heiligsprechen würdet. Du könntest den Baum, in dem das Baumwesen lebt, für heilig erklären und alle Buchen in deinem Wald würden davon profitieren.“
„Profitieren nur die Bäume im Waldstück oder alle?“
„Es profitieren alle Bäume, aber das Waldstück ist am nächsten und dort kannst du den Erfolg sehen.“
„Und wenn ich Erfolg habe, kommen die Forstarbeiter und fällen die Bäume.“
„Wir wissen, dass Menschen unser Holz brauchen. Wenn sie vorher fragen, geben wir es gern. Wir mögen es aber nicht, wenn man uns mit der Motorsäge oder der Axt aus dem Schlaf reißt. Wenn Menschen Zweige abschneiden wollen, sollen sie es uns sagen und dann ein, zwei Tage warten, damit wir die Chance haben, unser Leben daraus abzuziehen.“
„Hast du mir noch etwas zu sagen, liebe Buche?“
„Ich denke, was gesagt werden muss, habe ich gesagt. Hast du noch Fragen?“
Aufgaben der Bäume
„Ist das bei den anderen Baumarten genauso?“
„Das Prinzip ist bei allen gleich, aber die Baumarten haben natürlich unterschiedliche Aufgaben auf der Erde. Ich meine – wir alle produzieren Sauerstoff, wir alle geben Holz, aber wir sind die Heimat für unterschiedliche Tiere, Moose und Pilze. Wir haben unterschiedliche Aufgaben und deshalb sind auch die oberen Baumwesen unterschiedlich, weil sie ja für die Aufgaben ihrer Bäume zuständig sind.“
„Ach so, die Bäume haben noch Aufgaben über das Wachsen hinaus?“
„Sie geben Tieren Schutz und Nahrung und jede Baumart hat ihre Spezialisten.“
„Aber ihr werdet oft von Tieren aufgefressen.“
„Das ist so, weil ihr das Gleichgewicht zerstört habt. Früher hatten unsere Gegner mehr Feinde, die sie gefressen haben, sie konnten nicht so viel Schaden anrichten wie heute zum Beispiel bei der Kastanie. Aber ihr habt die Feinde getötet und deshalb gibt es so viele Baumkrankheiten, wie ihr es nennt.“
„Unsere Früchte sind auch unterschiedlich. Damit nähren wir Tiere. Bucheckern zum Beispiel werden von Wildschweinen geliebt, Vögel und selbst Menschen mögen Bucheckern. Die Baumarten haben unterschiedliche Aufgaben und das spiegelt sich in den oberen Baumwesen wider.“
„Manche sagen, dass Baumwesen Dryaden sind, ist das richtig?“
„Sie haben sie so genannt und so mag es sein.“
„Und Faun?“
„Ein Faun ist etwas anderes. Ein Baumwesen ist kein Faun, aber das wirst du irgendwann erfahren.“
Das Netzwerk der Bäume
„Wer hat uns vorhin abgeholt?“
„Das war ein Ent. Sie sind unsere Boten – in der Anderswelt ebenso wie in der Menschenwelt. Weil wir uns kaum vom Baum wegbewegen können, brauchen wir sie. Sie verbinden die Bäume miteinander, sie bilden das Netzwerk der Buchen und aller Bäume in einem Wald. Wenn sich zwei Bäume verbinden möchten, aber die Wurzeln keinen Kontakt haben, kommen unsere Freunde, die Ents, und bilden eine Brücke zwischen den Wurzeln. Sie leben zum großen Teil unter der Erde, manchmal auch in den Baumwipfeln. Sie sorgen dafür, dass wir Bäume uns vernetzen können.“
„Warum müssen sich Bäume vernetzen?“
„Ihr habt doch auch die Möglichkeit, Nachrichten auszutauschen und das müssen wir auch. Ein Wald ist immer vernetzt. Wir vernetzen uns artunabhängig und teilen mit, wenn irgendetwas Besonderes ist, damit sich die anderen Bäume darauf einstellen können. Wenn jemand kommt, der in die Rinde ritzt, oder wenn jemand kommt, der uns liebt, oder wenn jemand mit der Motorsäge kommt, alles das geben wir weiter. Je nachdem, wie der Mensch die Bäume behandelt, wird er von uns behandelt. Wer uns misshandelt, stolpert über Wurzeln, wer uns liebt, dem schenken wir vielleicht etwas Schönes, ein besonderes Blatt, eine schöne Blüte … Es ist unterschiedlich.“
Schlusswort
„Ich würde es begrüßen, wenn die Menschen das mit den heiligen Bäumen lesen und lernen, wofür wir da sind und wieder achtsamer mit uns umgehen. Jetzt verabschiede ich mich.“
„Ich habe heute gar kein Geschenk.“
„Das macht nichts, wir Buchen brauchen keine Geschenke. Wir brauchen eure Liebe und die hast du mitgebracht.“
*Bäume heilig sprechen
Man stellt sich zu dem Baum, hebt seine Hände gen Himmel, betet zu seinem Gott oder seiner Göttin und bittet darum, den Baum zu heiligen. Man sieht es nicht, aber aus dem Himmel kommt ein Blitz, um den Baum zu aktivieren. Das kann jeder, der es mit reinem Herzen macht. Man braucht nur die Verbindung zum Göttlichen. Wer nicht glaubt, wird den Baum nicht heiligsprechen können.